Relikte aus der Barockzeit
Die ältesten Grabsteine auf dem überschaubaren Friedhof St. Jürgen stammen aus der Barockzeit und sind mit Verzierungen wie Putten versehen. (Foto: Antonia Lühmann)
Lilienthal. St. Jürgen ist der älteste und einer der kleineren Friedhöfe in der Kirchengemeinde Lilienthal. Dort wurde im Jahre 1996 der plattdeutsche Literat und Heimatdichter Heinrich Schmidt-Barrien, der in Frankenburg gelebt hat, begraben. Zuletzt bewohnte er in Lilienthal ein altes, windschiefes Fachwerkhaus, das in dem nach ihm benannten Heinrich-Schmidt-Barrien-Weg steht. „Es kommen auch Leute hier zum Friedhof, die konkret nach seiner Grabstelle fragen“, erzählt Pastor Wildrik Piper.
Auf dem Friedhof hat auch der laut Inschrift „ehrenfeste und vorachtbahre Hinrich Barrenstorff“ seine letzte Ruhestätte gefunden, der als Richter tätig war. Der Grabstein zeigt ihn auf einem Pferd reitend mit einer Gesetzesrolle und einem Richtstab in der Hand. „Man sagt ja auch ‚den Stab über jemanden brechen‘, also jemanden verurteilen – daher der Richtstab“, erklärt Piper. Barrenstorff wurde 1661 in St. Jürgen geboren und ist im – besonders für damalige Verhältnisse – stattlichen Alter von 90 Jahren dort verstorben.
Die eingemeißelten Grabinschriften waren früher weitaus ausführlicher als heute und konnten Informationen über die Lebensumstände, die Familie, den Beruf und manchmal auch die Todesursache beinhalten. So wird auf Barrenstorffs Grabstein auch seine Ehefrau Becke erwähnt, mit der er 65 Jahre verheiratet war und neun Kinder – drei Söhne und sechs Töchter – hatte. Seine Frau verstarb im Jahre 1753, ebenfalls im hohen Alter von 90 Jahren.
Relikte aus der Barockzeit
Die ältesten Grabsteine auf dem Friedhof St. Jürgen stammen aus der Barockzeit und wurden später in einer Ecke des Friedhofs dekorativ zusammengestellt. Diese sind häufig mit Putten und anderen Verzierungen versehen. Sind zwei Engelsgesichter darauf, ist es ein Grabmal für ein Ehepaar. Auch der Siegeskranz ist auf einem der Grabsteine zu sehen, dieser stehe als Belohnung für den Glauben: „Wer bis zum Tod glaubt, bekommt diesen Siegeskranz“, erläutert Piper.
Hinter Ästen verborgen lässt sich auf einem der Steine ein eingemeißelter Schmetterling erkennen. „Schmetterlinge werden als Sinnbild für das Leben nach dem Tod angesehen. So hatte man schon früher ein Bild dafür, was nach dem Tod Schönes kommt.“ Der Pastor erinnert sich an eine Trauerfeier in der Kirche, in der plötzlich ein Schmetterling über den Sarg geflogen ist. „Ich habe dann den Schmetterling als Symbol für das neue Leben in die Trauerrede aufgenommen.“
Die genutzten und noch verfügbaren Grabstellen liegen dicht an dicht und Wege gibt es nur ringsherum, von denen Besucherinnen und Besucher viele verschiedene und auch ungewöhnliche Grabsteine entdecken können. „Hier herrscht keine Monotonie“, betont Piper, der das Pastorenhaus neben dem Friedhof bewohnt. Der überschaubare Friedhof überzeugt durch seine besondere Lage – aber auch durch die Heimatverbundenheit zur Gemeinde, die familiäre Atmosphäre und die Lebendigkeit. „Jeden Tag kommen Menschen hierher, die ein Grab besuchen oder pflegen, in die Kirche gehen oder einfach nur durch den Park spazieren gehen und die Natur genießen“, erzählt Piper.
An der Rückseite der Georgskirche lädt eine Bank zum Verweilen ein. (Foto: Wildrik Piper)
Gottesdienste auch im Freien
Durch die Ergänzung um einen hölzernen Unterstand, der im Mai 2019 von der Landjugend St. Jürgen errichtet wurde, erhält der Friedhof auch einen Ort, um Gottesdienste im Freien abzuhalten. Von dort kann man die hinter dem Pastorenhaus lebenden Schafe und Hunde beobachten und auf den angrenzenden Park schauen, der vom Friedhof direkt erreichbar ist.
Im Park steht eine Skulptur des Lilienthaler Künstlers Hans-Georg Filipschack (1933 – 2020), die eine Mutter mit ihrem Kind auf den Schultern zeigt. Eine weitere Skulptur, ein Engel, befindet sich in der Kirche. Auch hier zeigt sich wieder die Verbundenheit zur Gemeinde. Die Mehrheit, die sich für eine Beisetzung auf diesem Friedhof entscheidet, komme aus der Gemeinde und den umliegenden Ortschaften Moorhausen, Niederende, Höftdeich, Vierhausen, Mittelbauer und Wührden. „Im Bewusstsein der Menschen ist es ‚ihre Kirche‘“, so Piper. Etwa einmal im Monat finde dort eine Beisetzung statt, manchmal auch seltener. „Die Trauerfeiern, die abgehalten werden, sind eher traditioneller Natur und fast immer mit Orgelmusik“, erzählt Piper. Er erinnert sich aber an eine Feier, auf der französische Chansons gesungen wurden, begleitet von einer Gitarre. „Das war sehr berührend.“
Erste Gräber bereits im 9. Jahrhundert
Im Jahr 865 wurde auf der Warft, auf der die jetzige Georgskirche steht, eine kleine hölzerne Kapelle errichtet. Vermutlich wurden um diese herum bereits die ersten Verstorbenen begraben. Im Jahre 1106 wurde dann eine Kapelle aus Sandstein errichtet, die Vorgängerin des jetzigen Gebäudes. Dieses ist ein Backsteinbau aus dem 13. Jahrhundert, der Turm wurde jedoch erst um 1474 errichtet.
Die Georgskirche ist tagsüber zugänglich für die Öffentlichkeit, „sie wird auch täglich genutzt, jeden Abend sehe ich brennende Kerzen“, erzählt Wildrik Piper. Auch in dem Buch, in das Besucher ihre Gedanken schreiben können, kommen regelmäßig neue Eintragungen hinzu. Ein Besucher lobt dort zum Beispiel „den Klang der Kirche und den besonderen Charme“. Der Platz direkt vor dem Haupteingang der Kirche wurde erst vor Kurzem gepflastert und kann für ein Beisammensein genutzt werden – zum Beispiel nach Trauerfeiern. Die hölzerne Bank, gestiftet von einem ortsansässigen Steinsetzer, lädt zudem zum Verweilen ein.
Für die Zukunft aufgestellt
Bis vor zehn Jahren war St. Jürgen eine eigenständige Gemeinde. Jetzt gehören die drei Friedhöfe – St. Jürgen, Falkenberg und Frankenburg – alle zu der Lilienthaler Kirchengemeinde. Das habe laut Piper auch wirtschaftliche Aspekte. „Friedhöfe haben alle das Thema, wie sie sich unterhalten können“, sagt Piper. „Deshalb müssen sie sich neue Konzepte einfallen lassen.“ Die Urnengrabstellen seien laut Piper ein Teil dieser Entwicklungen und erst seit zehn Jahren auf dem Friedhof St. Jürgen zu finden. „Auch wenn der Friedhof sehr alt ist, gehen wir mit der Zeit und stellen uns für die Zukunft auf.“
Von Antonia Lühmann