Eine eigene Urne bauen
Die Nachfrage nach biologisch abbaubaren Urnen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen – damit wächst auch die Vielfalt an Möglichkeiten. (Foto: Dieter Menne)
Bremen. Eine Bohrmaschine liegt im Gras, Holzspäne fliegen, es wird gehämmert und gehobelt, gelacht und geplaudert an den einzelnen Werkbänken unter freiem Himmel. Doch hier entstehen keine Vogelhäuschen, sondern Urnen aus Holz für das Lebensende. Was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ungewöhnlichen Workshops mit viel Eifer und Energie gestalten, wird eines Tages beigesetzt werden – gefüllt mit ihrer eigenen Asche oder den sterblichen Überresten eines geliebten Menschen.
„Du bist auf einem guten Weg“, versichert Pfarrer Hendrik Meisel dem schon seit Stunden mit Holzhammer und Stecheisen werkelnden Martin Ackerschewski. Und er meint das nicht in moralischer oder fromm-religiöser Hinsicht, sondern mit Blick auf den Pflaumenholzblock, der allmählich die gewünschte Form annimmt.
Positive Resonanz für Workshops
Pfarrer Meisel vom Evangelischen Kirchenkreis und Tischler Mikel Hogan hatten die Idee. „Es ist eine handwerkliche Tätigkeit, aber sie hat eine intensive seelsorgliche Komponente“, schildert Meisel. „Wir führen Gespräche über Verlust und Trauer.“ Im vergangenen Herbst hatten die beiden schon einen Kurs zum Bau eines eigenen Sarges als „Möbelstück für die letzte Reise“ initiiert. „Das Gefühl, sich mit dem Tod beschäftigen zu wollen oder zu müssen, ist bei vielen Menschen gegeben. Oft fehlt aber der Raum, um sich auszutauschen“, erläutert Meisel. Die bundesweit einzigartigen Workshops stoßen auf großes Interesse in der Öffentlichkeit, die Resonanz sei positiv, berichten sie. Inzwischen gebe es zahlreiche Sargbau-Sets oder Angebote, Särge zu bemalen. Für eine Kampagne des Bundesverbandes Deutscher Bestatter haben auch Künstlerinnen und Künstler bunte Särge gestaltet.
„Die Leute werden zum Nachdenken gebracht: Wie gestalte ich meinen Abschied, was verlange ich meinen Angehörigen ab, wenn ich selbst nichts regele?“, gibt Hogan häufig geäußerte Fragen wieder. Die Bestattungskultur werde immer persönlicher und individueller – und es sei gut, wenn die Evangelische Kirche genau das ermögliche, betont Meisel.
Für eine Urnen-Bestattung wird die Asche eines Verstorbenen im Krematorium in eine schlichte Aschekapsel gefüllt, die so schon vom Bestatter beigesetzt werden könnte. Üblich sind aber Urnen, die hübsch und würdig aussehen sollen. Die Aschekapseln werden in diese Schmuckurnen eingesetzt und in den Workshops entstehen eben diese als handgemachte Eigenkreationen. „Wir arbeiten auf das Aschekapsel-Maß 17 Zentimeter Durchmesser und 23 Zentimeter Höhe“, erklärt Hogan. Und der dafür passende Hohlraum will erst mal freigeschlagen werden in dem schweren Holzblock, den es an zwei Tagen zu bearbeiten gilt.
Die Urnen aus Holz sind insbesondere für naturnahe Beisetzungen geeignet. Generell würden inzwischen überwiegend nachhaltige Urnen bestellt – möglich seien auch Materialien wie Holzkohle, Maisstärke, Lehm, Naturfasern oder sogar Papier, sagt Jürgen Stahl vom Bundesverband Bestattungsbedarf. Rund 70 Prozent der Urnen seien inzwischen biologisch ohne Rückstände abbaubar – vor zehn Jahren habe der Anteil noch bei nur rund zehn Prozent gelegen.
Bei dem Workshop stehen Hölzer wie Kastanie, Pflaume oder Birke zur Wahl. Auch bei den Formen sind viele Varianten möglich, es gehe ebenso viereckig, sagt Hogan. Er zeigt zudem eine Variante, die aus zwei Hälften besteht: „Wenn der Fall eintritt, umschließen die beiden Teile die Aschekapsel zur Bestattung. Vorher kann man die Hälften auch gut als Schalen nutzen.“ Pragmatisch ist der Blick des Tischlers ebenfalls bei den Särgen. „Man kann sie erst mal als Möbelstück verwenden, zum Beispiel als Truhe. Oder man setzt Regalbretter für Bücher ein.“ Ein Kursteilnehmer verwende den Sarg zur Aufbewahrung der Sitzpolster-Garnitur auf der Terrasse. Optisch ist auch alles möglich – Schleifen, Ölen, Wachsen, Bemalen, Applikationen anbringen oder Muster einbrennen, wie es gefällt.
Bautechnisch nicht trivial
Mit der Kettensäge wird zunächst aus der gewünschten Holzart eine dicke Scheibe gesägt. „Wir perforieren das Holz dann erst mit der Bohrmaschine und schlagen uns mit Holzbohrer und Stemmeisen danach Stück für Stück in den Stamm rein“, erläutert Bianca Clarissa Dannapfel. Sie fertigt die Urne für ihre 86 Jahre alte Mutter an, auf deren ausdrückliche Bitte. „Negative Emotionen habe ich nicht dabei“, schildert die 56-Jährige. Die handwerkliche Arbeit mache ihr Spaß. Und sie sei froh, dass sie ihrer Mutter diesen Wunsch erfüllen könne.
Auch der 57-jährige Martin Ackerschewski wirkt entspannt. „Ich sehe die Sache nicht betrüblich. Ich denke nicht die ganze Zeit: Das Leben ist bald vorbei“, sagt er. Mit 40 hatte er einen Herzinfarkt, seine Schwester starb 2023. Mit dem Thema Tod war er also bereits mehrfach konfrontiert. „Es kann schnell vorbei sein. Ich möchte gerüstet sein.“
Ein paar Meter bearbeitet Barbara einen Birkenstamm. Ihr Opa habe früher aus den Stämmen immer Birkenwasser in Flaschen abgefüllt, eine schöne Kindheitserinnerung. Die Urne der 65-Jährigen ist schon weit fortgeschritten. Es müssen Bänder befestigt werden. „Zum Tragen, damit mein Sohn die Urne dann gut in die Erde setzen kann.“ Für ihren Todesfall hat sie alles geregelt, die Schmuckurne ist der letzte fehlende Baustein.
Martins Ehefrau Susanne Grass möchte ihre Zwei-Teile-Urne zunächst im Wohnzimmer platzieren. „Man könnte ein künstliches Teelicht reinstellen.“ Als Deko schweben ihr Lilienmuster vor. „Es ist gut, wenn man sich zum Trauerzeitpunkt nicht auch noch um alle Details der Bestattung kümmern muss“, meint sie. „Meine Urne ist ein Unikat. Kaufen kann jeder.“
Von Antonia Lühmann und Yuriko Wahl-Immel