Trauern im digitalen Raum
Trauernde können im Internet ihren Gefühlen Ausdruck verleihen – beispielsweise mit persönlich gestalteteten Gedenkseiten. (Foto: Pixabay)
Bremen. Der digitale Raum eröffnet Trauernden vielfältige neue Möglichkeiten, ihre Gefühle zu verarbeiten und ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Klassische Rituale werden dabei nicht ersetzt, sondern durch digitale Formen der Trauer ergänzt – das wirkt sich auch auf die Abschiedskultur aus. „Digitale Trauerbegleitung könnte zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Trauer und Tod beitragen und eine Gesellschaft fördern, die voller Mitgefühl und Souveränität mit Trauernden umgeht“, meint Conny Kehrbaum, Referentin für Trauer bei der Malteser Fachstelle für Hospizarbeit, Palliativversorgung und Trauerbegleitung. Sie wünscht sich eine lebendig gestaltete Abschiedskultur, in der jede und jeder die optimale Unterstützung in individuellen Trauerprozessen erfahre – die digitale Welt könne dazu einen weiteren Teil beitragen.
Digitale Anlaufstellen sind jederzeit verfügbar
Einen großen Vorteil, den Kehrbaum in der digitalen Trauerbegleitung sieht: diese sei für Ratsuchende jederzeit und ortsunabhängig erreichbar. „Wann immer trauernde Menschen das Bedürfnis haben, sich mit ihrem Verlust auseinander zu setzen, können sie ins Netz gehen, recherchieren und die vielfältigen Angebote ausprobieren“, so Kehrbaum. „Zudem kann jede und jeder finden, was ihren oder seinen Vorlieben entspricht und zur jeweils individuellen Situation passt: es gibt Einzel- und Gruppenchats, themenspezifische Angebote, Selbsthilfe sowie fachliche Unterstützung.“
Die digitale Trauerbegleitung erreiche außerdem Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen sonst keinen Zugang zu Unterstützung hätten, betont die Onlineberaterin – zum Beispiel, weil es keine Anlaufstellen vor Ort gibt oder weil sie aus persönlichen Motiven an solchen Angeboten nicht teilnehmen können oder möchten – und das sollte respektiert werden.
Schließlich können Trauer und die damit verbundenen Gefühle auch mit Scham besetzt sein, weiß Kehrbaum aus ihren 25 Jahren Erfahrung in der Hospizarbeit: „Manchmal fällt es Ratsuchenden leichter, sich anonym Unterstützung zu holen. Online befinden sie sich in einem sicheren, geschützten Umfeld und müssen sich nicht zeigen.“ Zudem erleichtere digitale Trauerbegleitung den Zugang zu Hilfsangeboten – insbesondere auch für jüngere Menschen, die in anderen Lebensbereichen ebenfalls oft Rat im Internet suchen.
Die Impulse für Abschied in digitalen Räumen sind zahlreich und es werden immer mehr. „Für trauernde Menschen ist es oft eine Herausforderung in den vielen Möglichkeiten, das Passende zu finden“, so Kehrbaum. So gibt es Trauerportale wie trauer.weser-kurier.de, auf denen Gedenkseiten und Erinnerungsräume persönlich gestaltet werden können, um das Andenken an die verstorbene Person zu erhalten. Mit virtuellen Kerzen wird so ein Ort der Erinnerung geschaffen, der jederzeit und ortsunabhängig erreichbar ist.
Auch das Verfassen von persönlichen Nachrichten an den geliebten Menschen hilft Angehörigen, ihre Trauer zu verarbeiten. Kreative Angebote wie digitale Trauertagebücher und Schreibwerkstätten bieten Ratsuchenden Anregungen, um ihre Gefühle auszudrücken.
Doch nicht nur individuelle Lösungen, sondern auch der Austausch untereinander unterstütze Trauernde in ihrem Prozess, sagt Kehrbaum. In Chats und Foren, bei Online-Seminaren und Mediationen können sich Trauernde miteinander vernetzen und ihre Erfahrungen teilen. Auch in Podcasts, Videos, über Webinare und sogar über Influencer können mittlerweile Informationen über die Themen Sterben, Tod und Trauer eingeholt werden. Das helfe insbesondere auch Menschen im Umgang mit Trauernden in ihrem sozialen Umfeld, ergänzt Kehrbaum.
Das Internet bringe natürlich nicht nur fremde Menschen zusammen, betont Kehrbaum: „Familien können sich von überall her ‚zuschalten‘ – selbst wenn Angehörige oft weit voneinander entfernt leben – so kann man trotzdem gemeinsam trauern und Erinnerungen zusammentragen“.
Ein Beispiel für digitale Trauerbegleitung ist das Projekt Via der Malteser, das umfangreiche Informationen rund um Trauer zur Verfügung stellt sowie eine „Erste Hilfe für Trauernde“ und eine Online-Trauerberatung anbietet. „Ratsuchende können sich rund um die Uhr melden und erhalten innerhalb von 48 Stunden eine garantierte Antwort von professionellen Beraterinnen und Beratern“, erläutert Kehrbaum den Kernansatz der Anlaufstelle. Fünf hauptamtliche und 60 ehrenamtliche Trauerberaterinnen und Trauerberater beantworten die ungefähr 100 Erstanfragen pro Monat, aus denen sich dann Beratungen und Begleitungen unterschiedlicher Intensität und Dauer ergeben.
Das Projekt richte sich jedoch nicht ausschließlich an Trauernde, sondern auch an deren Freunde und Kollegen: „Häufig wissen Menschen aus dem sozialen Umfeld nicht, wie sie mit trauernden Menschen umgehen sollen“, sagt Kehrbaum. Deshalb unterstützt Via herauszufinden, was man zum Beispiel lieber nicht zu Trauernden sagen sollte und wie man stattdessen tatsächlich Trost spenden kann.
Der Trauerprozess wird bewusster gestaltet
Doch egal, ob analog, digital oder in einer Kombination, die Trauer bleibt ein natürlicher, wichtiger und vor allem individueller Prozess, der verschiedenste Gefühle und körperliche Reaktionen hervorruft. Somit sind auch die Auseinandersetzung und die Verarbeitung des Verlustes unterschiedlich. „Die Trauerarbeit leisten die Betroffenen selbst – das macht auch deutlich, warum trauernde Menschen oft so erschöpft sind, denn Trauern kostet Kraft“, sagt Conny Kehrbaum. Digitale Anlaufstellen und Ressourcen können Trauernde jedoch begleiten, beraten und unterstützen, diesen Prozess lebendig und bewusster zu gestalten.
Von Antonia Lühmann