Die Trauer von Kindern ist bunt und vielfältig
Im Toberaum bei Trauerland Bremen e. V. haben die Kinder viel Platz, um sich auszutoben und ihre Wut herauszulassen. (Foto: Trauerland)
Bremen. Kinder springen gern in Pfützen – ob sie dabei nass werden oder nicht. So beschreibt auch der Begriff „Trauerpfützen“ den Trauerprozess von jungen Menschen sehr passend. Sie springen von einer tiefen Traurigkeit in der einen Situation in eine spaßige Aktivität und Fröhlichkeit in der nächsten und durchleben dabei intensive Momente.
„Kinder agieren viel intuitiver als Erwachsene, auch in Zeiten der Trauer“, sagt Beate Alefeld-Gerges. Sie haben selten Worte für ihre Gefühlswelt und drücken sich lieber im Handeln aus. Erwachsene können diese Art der Trauer oft nicht nachvollziehen, „dabei könnten sie sich von den Kindern ruhig etwas abschauen – und sich selbst erlauben, auch positive Gefühle zuzulassen.“
Die Arbeit von Trauerland Bremen e. V. setzt genau dort an. „Wir gehen davon aus, dass Kinder die Experten für ihre Trauer sind,“ so Beate Alefeld-Gerges, die den Verein vor 25 Jahren gegründet hat. Nach dem Verlust eines Elternteils oder nahestehenden Bezugspersonen bekommen junge Menschen dort Raum für ihre Trauer. Sie treffen sich in altersspezifischen Gruppen, die jeweils von pädagogischen Fachkräften und geschulten Ehrenamtlichen begleitet werden.
Kinder werden pädagogisch betreut
Die Gruppe beginnt mit einem Begrüßungskreis und alle bekommen die Chance, etwas zu ihrer aktuellen Gefühlslage zu sagen. Es tue den Kindern gut, zu merken, dass sie nicht allein sind, so Alefeld-Gerges. „Sie spüren, hier in diesem Raum hat jeder jemanden verloren und das hilft, sich zu öffnen“. Anschließend können die Kinder frei entscheiden, ob sie im Toberaum ihren Frust herauslassen, in der Malecke ihre Kreativität ausleben, im Ruhebereich ein Buch anschauen oder sich mit einem Kind oder Erwachsenen austauschen möchten.
Denn bei jeder Kindergruppe sind neben einer pädagogischen Fachkraft auch einige Ehrenamtliche anwesend, damit bei Bedarf Einzelgespräche möglich sind. Dank Schulungen sind sie auf den Umgang mit trauernden Kindern und Jugendlichen vorbereitet. „Unsere Ehrenamtlichen gehen mit dem guten Gefühl raus, eine sinnstiftende Arbeit getan zu haben. Auch ist es schön, die Entwicklung der Kinder zu beobachten“, erzählt Beate Alefeld-Gerges.
Vielfältige Gefühle kommen auf
Weinen komme als Reaktion dabei gar nicht so oft vor, ganz im Gegenteil, es werde viel gelacht. „Kinder möchten hier Spaß haben. Dafür kommt mehr Wut auf – ein Gefühl, das oft nicht mit Trauer in Verbindung gebracht wird“, erklärt Alefeld-Gerges. Besonders jüngere Kinder, denen die Worte für ihre Gefühlslage fehlen, seien wütend, dass die geliebte Person weg ist. „Und deshalb schaffen wir andere Räume für die Wut, wie den Toberaum“, sagt Alefeld-Gerges. Doch auch zuhause sei es möglich, den Frust herauszulassen, beispielsweise bei einer Kissenschlacht.
Zudem suchen Kinder laut Alefeld-Gerges manchmal nach Körperkontakt – dieser gebe ihnen Sicherheit, da ihr Urvertrauen etwas angeknackst sei. Manche leiden daher unter großen Verlustängsten. Auf diese sollten Bezugspersonen Rücksicht nehmen, rät Alefeld-Gerges, um den Kindern Sicherheit zu vermitteln.
Grundschulkinder dagegen seien sehr neugierig und stellen viele Fragen – beispielsweise über die Todesumstände. „Erwachsene sollten dieses Interesse nicht einfach abtun. Wenn ihre Neugier gestillt wird, können sie in die Trauer übergehen“, erklärt Alefeld-Gerges. Dann stecken sie mal tief in ihrer Trauer – und sind im nächsten Moment wieder gut gelaunt.
In intensiven Trauerprozessen könne es auch zu körperlichen Symptomen kommen, unabhängig vom Alter, so Alefeld-Gerges. Diese sollten ernst genommen und zum Beispiel ärztlich abgeklärt werden. Manchmal gehen Kinder in ihrer Entwicklung auch einen Schritt zurück – wie beim Thema Einschlafen. Hier rät Alefeld-Gerges, Lösungen zu finden, die für alle Familienangehörige passen.
Bei Jugendlichen nähert sich der Trauerprozess zwar immer mehr dem von Erwachsenen an, doch oft möchten sie das Gefühl der Trauer lieber wegschließen. „Sie wissen intuitiv, dass die gesamte Trauer sie überwältigt. So lassen sie diese Gefühle nur in besser zu verarbeitenden Teilen zu“, sagt Alefeld-Gerges. Hinzu komme, dass junge Menschen sich in einer Phase des Aufbruchs befinden. Damit sie sich nach dem Verlust einer geliebten Person nicht alleingelassen fühlen, sollte man nach ihren Bedürfnissen fragen, rät Alefeld-Gerges. „Die reine Anwesenheit einer Bezugsperson zeigt ihnen, dass sie gesehen werden. Oft bekommen sie Ratschläge, doch das mögen sie überhaupt nicht.“
Für Jugendliche und junge Erwachsene bietet Trauerland ebenfalls Gruppen an, um sich mit Gleichaltrigen auszutauschen. „Hier wird auch Erinnerungsarbeit geleistet – Erinnerungen können zu Beginn oft schmerzhaft sein, später können sie aber auch zur Kraftquelle werden“, so Alefeld-Gerges und den jungen Menschen dabei helfen, ihre Lebenslinien zu legen.
Eine weitere Entlastung sei es für Kinder und Jugendliche laut Alefeld-Gerges, wenn es dem verbliebenen Elternteil gut gehe. Schließlich stecken sie nach dem Verlust ihrer Partnerin oder ihres Partners selbst in der Trauer. Während der Kindergruppen können sich die Angehörigen deshalb ebenfalls untereinander austauschen und ihren Heilungsprozess beginnen.
Für alle Trauernden sei es zudem wichtig, ihre eigenen Kraftquellen zu finden. Ganz konkret schlägt Beate Alefeld-Gerges vor, einen „Notfall-Koffer“ zu packen. Dieser ist voll mit Dingen, die einem in Zeiten der Trauer guttun – das kann ein Duftöl sein, ein Lieblingsbuch oder Sportutensilien.
Zwar werde gesellschaftlich erwartet, dass Trauer irgendwann abgeschlossen ist, doch intensive Trauerphasen können laut Alefeld-Gerges immer zwischendurch auftreten, manchmal auch zu bestimmten Anlässen. Beispielsweise an Weihnachten werde besonders deutlich, dass da jemand fehlt.
„Allgemein werden die Themen Tod und Trauer schon besser in der Gesellschaft akzeptiert“, sagt Beate Alefeld-Gerges. Sie schlägt aber vor, Kinder präventiv, beispielsweise in Kindergärten, mit diesen Themen in Berührung zu bringen und einen offeneren Umgang zu kultivieren. „Komplett unvorbereitet mit dem Tod konfrontiert zu werden, ist meiner Ansicht nach nicht optimal.“
Von Antonia Lühmann