Ernst Nolte

Ernst Nolte

* 11.01.1923 in Historiker
† 18.08.2016
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Angelegt am 19.08.2016
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Ernst Nolte mit 93 Jahren gestorben

19.08.2016 um 07:50 Uhr von WESER-KURIER

Schlüsselfigur des Historikerstreits

von Esteban Engel - 19.08.2016

 
Portrait du philosophe allemand Ernst Nolte en 1994 AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT PUBLICATIONxINxGERxSU © imago stock&people, imago/Leemage
Einer der bekanntesten, aber auch umstrittensten deutschen Geschichtswissenschaftler: Ernst Nolte, hier auf einer Aufnahme Mitte der 90er-Jahre. (imago stock&people, imago/Leemage)

 

Der Professor der Freien Universität Berlin verharmlose die Nazis und begebe sich in die Nähe der Holocaust-Leugner, lautete damals der zentrale Vorwurf. Am Donnerstag ist Nolte nach kurzer Krankheit mit 93 Jahren in Berlin gestorben, wie seine Familie der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigte.

 

Seine Behauptungen gelten in der Historiker-Zunft inzwischen als widerlegt. Dennoch hielt der Zeitgeschichtler auch in späteren Veröffentlichungen an seinen Thesen fest und isolierte sich damit in der Fachwelt zunehmend. Im Jahr 2000 lehnte es die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel ab, anlässlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises durch die Deutschland-Stiftung die Laudatio auf den umstrittenen Wissenschaftler zu halten.

 

Auslöser des Historikerstreits war 1986 Noltes Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ unter dem Titel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“. Hitler sei eine Reaktion auf Lenin gewesen, führte er dort aus. „War nicht der ,Archipel Gulag‘ ursprünglicher als ,Auschwitz‘? War nicht der ,Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius (Vorausgegangene) des ,Rassenmords‘ der Nationalsozialisten?“ Befremdlich war für viele auch, wie stark Nolte die führende Rolle von Juden innerhalb der Bolschewiki betonte.

 

Habermas als Widerpart

Ernst Noltes bekanntester Widerpart war Jürgen Habermas. Der Philosoph bezichtigte den Kollegen in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Eine Art Schadensabwicklung“ des Revisionismus. Mit der Deutung des Nationalsozialismus als Antwort auf die bolschewistische Bedrohung mache Nolte Hitlers Verbrechen „mindestens verständlich“. In der Folge entbrannte unter Wissenschaftlern und Intellektuellen eine heftige Diskussion, die monatelang anhielt. Unterstützt wurde Habermas in der Auseinandersetzung von seinem Jugendfreund Hans-Ulrich Wehler. Mehr als zehn Jahre nach der heftig geführten Diskussion zog Wehler das Fazit, er kenne keinen Historiker, der Noltes Interpretationen in den wesentlichen Punkten recht gegeben habe.

 

Auch der „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein ging mit Nolte scharf ins Gericht. Er warf dem Wissenschaftler vor, das Bürgertum, die Generalität und den Massenmörder Hitler zu entlasten. Nolte jedoch blieb unbeirrt. In einem Interview mit dem „Spiegel“ sagte der Historiker beispielsweise 1994, er könne nicht ausschließen, dass die meisten Holocaust-Opfer nicht in den Gaskammern, sondern durch Seuchen und Massenerschießungen getötet worden seien. Im Ergebnis, erklärte schließlich der Historiker Heinrich August Winkler, habe die heftige Auseinandersetzung um Noltes Thesen einen Wandel in der politischen Kultur beschleunigt und die „vorbehaltlose Öffnung“ der Bundesrepublik gegenüber dem Westen gefestigt.

 

Der Historiker selbst sah sich durch die Vorwürfe seiner Kollegen ungerecht behandelt. Nicht er habe sich zu einem radikalen Rechten entwickelt, vielmehr sei die deutsche Öffentlichkeit nach links gerückt, argumentierte er. Auch in seinen späteren Büchern über die Weimarer Republik und Europa ging er weiter der Frage nach: Wie war Hitler möglich? Für ihn blieb gültig, dass Nationalsozialismus und Kommunismus die Kontrahenten eines „Europäischen Bürgerkrieges“ waren, wie er es bereits in seinem 1987 unter diesem Titel erschienenen Buch beschrieben hatte.

 

Trotz der Verwerfungen galt der in Witten an der Ruhr geborene Sohn eines Volksschuldirektors als einer der führenden deutschen Historiker der Nachkriegszeit. Seine Habilitationsschrift „Der Faschismus in seiner Epoche“ (1963) ist noch heute ein Standardwerk.

 

Als einer der ersten warf er die Frage auf, was den Nationalsozialismus ausgelöst hat. Dabei brach er mit der im Kalten Krieg maßgeblichen Totalitarismustheorie, die Kommunismus und Faschismus als Unterdrückungssysteme gleichsetzte. Er erkannte dem Nationalsozialismus eine besondere Qualität als Herrschaftsform zu – als Teil der gesamteuropäischen Geschichte.

 

Protestaktionen von Studenten

Die Studie verschaffte Nolte, der ursprünglich wie sein Vater im Schuldienst arbeitete, große Anerkennung. Als Seiteneinsteiger bekam er einen Lehrauftrag für Neue Geschichte an der Universität Köln und später einen Lehrstuhl in Marburg. 1973 wechselte Nolte, der gewöhnlich ein sehr distanzierter, ruhiger Mann war, an die Freie Universität Berlin, wo er bis zu einer Emeritierung 1991 am Friedrich-Meinecke-Institut lehrte. In den Hochzeiten des Historikerstreits wurden seine Seminare immer wieder durch Protestaktionen von Studenten gestört.

 

Verbittert habe ihn die Auseinandersetzung nicht, sagte er 2006 der Tageszeitung „Die Welt“. Schließlich verstehe er sich streng genommen auch nicht als Historiker, sondern als Geschichtsdenker. „So möchte ich gesehen werden. Und ich glaube, dass mein Lebenswerk, wenn es als Ganzes wahrgenommen wird, diese Bezeichnung rechtfertigt.“

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19.08.2016 um 07:50 Uhr von WESER-KURIER
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