Hellmuth Karasek

Hellmuth Karasek

* 04.01.1934 in Literaturkritiker
† 29.09.2015
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Angelegt am 01.10.2015
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Traueranzeige

01.10.2015 um 13:53 Uhr von WESER-KURIER
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Rastloser Schöngeist

01.10.2015 um 13:53 Uhr von WESER-KURIER
© dpa
Hellmuth Karasek (Archivbild) (dpa)
 
Der einflussreiche Publizist, der für das Nachrichtenmagazin Spiegel arbeitete und sich durch das ZDF-Format Das Literarische Quartett ein noch größeres Publikum erreichte, wurde am 4. Januar 1934 im tschechischen Brno (Brünn) geboren, nahe der Grenze zu Österreich. Die rustikale Küche, die heute das Borchardt und Konsorten pflegen, war grenzüberschreitend.
 

So grenzüberschreitend wie die von Entwurzelung geprägte Jugend von Hellmuth Karasek, der jetzt im Alter von 81 Jahren in Hamburg gestorben ist. Und so grenzüberschreitend wie die Blut-und-Boden-Politik der Nationalsozialisten, deren Territorialstreben der Titel von Karaseks Autobiografie geschuldet ist: In dem anrührenden Erinnerungstext „Auf der Flucht“, erschienen im Ullstein-Verlag, geht es um Folgen und Fährnisse einer mehrfachen Entwurzelung. Eindringlich beschreibt Karasek, wie seine Kindheit in dem Moment vorzeitig endete, als seine Familie 1944 aus der schlesischen Tuchstadt Bielitz flüchten musste.

 

Zurückgelassene Märklin-Bahn

Besonders habe er bedauert, erzählte Karasek dem Autor dieses Textes damals im Anschluss an die Buchpräsentation im Borchardt, dass er beim überhasteten Aufbruch aus Schlesien seine Märklin-Eisenbahn zurücklassen musste, die er erst kurz zuvor geschenkt bekommen hatte. Mit der Flucht aus Bielitz gen Ostdeutschland war seine Odyssee freilich noch nicht beendet; etliche Zwischenstationen folgten. Es mag daran liegen, dass dieser Mann oftmals rastlos wirkte, bisweilen getrieben.

 

1952, nach seinem mit Auszeichnung abgeschlossenen DDR-Abitur, setzte er sich in den Westen ab, studierte in Tübingen Anglistik, Geschichtswissenschaft und Germanistik – und promovierte anschließend über den Dramatiker Bertolt Brecht zum Dr. phil. Dank dieses intellektuellen Rüstzeugs avancierte er hernach bei „Zeit“ und „Spiegel“ zu einem der einflussreichsten Theater- und Literaturkritiker der Bundesrepublik. Dem früheren „Spiegel“-Feuilletonredakteur Volker Hage, einem langjährigen Freund und Weggefährten, hatte Hellmuth Karasek einmal ebenso eine hübsche wie bezeichnende Anekdote über Rudolf Augstein anvertraut: Der „Spiegel“-Herausgeber war in Osnabrück Augenzeuge der Premiere eines Theaterstücks, das Karasek unter dem Pseudonym Daniel Doppler geschrieben hatte. Und applaudierte anschließend dem Vernehmen nach frenetisch, um Karasek einige Tage später mit den Worten „Aber dass Sie kein Shakespeare sind, wissen Sie?“ zu verstehen zu geben, wie wenig er Journalisten als Künstler litt. Wohl, so Karasek, weil sich der „Spiegel“-Chef selbst mal als Dramatiker versucht und einen Verriss geerntet hatte.

 

Vordergründig ergebener Sidekick

Den sendungsbewussten und vor Tatendrang überbordenden Hellmuth Karasek, der mit seinen anregenden Büchern in den vergangenen Jahren auch mehrfach in und um Bremen gastierte, konnten selbst grob formulierte Verrisse seines Dramatikerschaffens nicht schrecken. Und auch nicht jene Belehrungen, die er als vordergründig getreuer und eifriger Sidekick von Marcel Reich-Ranicki im launigen Lektüre-Quartett zuhauf erleiden musste, weil es die Rollenverteilung nun mal so vorsah. Bisweilen erinnerte dieser Mann mit den weichen und zusehends zerknautschten Gesichtszügen dabei an einen begossenen Pudel.

 



 
Dabei war Obrigkeitshörigkeit nie dieses Pudels Kern. Hellmuth Karasek lernte aus der unmittelbaren Erfahrung des Totalitarismus, wie wichtig pluralistische Debatten in der offenen Gesellschaft sind. Herrschaftsfreier Diskurs galt ihm nicht als soziologischer Kampfbegriff, sondern als Anleitung zu einem erfüllten Arbeitsleben.

 

Erfüllung fand Hellmuth Karasek auch in ästhetischen Steckenpferden und familiärem Rückhalt. Die Liebe zu seiner Frau, der Literaturkritikerin Armgard Seeger, gehörte dazu; das Faible für die Werke des Hollywood-Regisseurs Billy Wilder ebenfalls. Ihm widmete er eine stupende Biografie. Ähnlich staunenswert war die Gelassenheit, mit der er Verrisse seines vorgeblichen „Spiegel“-Schlüsselromans „Das Magazin“ (1998) ertrug.

Sein mit Langmut gepaarter Witz wird fehlen.