Egon Bahr

Egon Bahr

* 18.03.1922 in Politiker
† 19.08.2015 in Politiker
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Angelegt am 21.08.2015
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SPD-Politiker Egon Bahr gestorben

21.08.2015 um 13:17 Uhr von WESER-KURIER
Egon Bahr © dpa
Egon Bahr. Foto: Ole Spata (dpa)

Der frühere Bundesminister und enge Vertraute von SPD-Kanzler Willy Brandt starb am Mittwoch im Alter von 93 Jahren in Berlin, wie ein Parteisprecher am Donnerstag bestätigte. Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Bahr als 'bedeutenden politischen Akteur der deutschen Nachkriegsgeschichte'.

 

In einem Brief an die Witwe Adelheid Bahr schrieb Gauck: 'Der Lebensweg Ihres Mannes hat gezeigt, dass uns Deutschen Geschichte gelingen kann.' Als einer der Architekten der bundesdeutschen Ostpolitik habe Bahr das Verhältnis zur DDR, zur Sowjetunion und zu den übrigen Ländern des Warschauer Paktes gestaltet und geprägt.

 

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte, gemeinsam mit Brandt habe Bahr gegen manche Skepsis und Widerstände eine neue Ära der bundesdeutschen Außenpolitik eingeleitet: 'Die Wahrung des Friedens war sein politisches Leitmotiv.'

 

Der gelernte Journalist Bahr und langjährige Bonn-Korrespondent für den Sender Rias fing 1956 als Sprecher beim damaligen Regierenden Berliner Bürgermeister Brandt an. Die beiden wurden enge Freunde.

 

1963 stellte Bahr sein Konzept 'Wandel durch Annäherung' vor, das ein Grundstein für die Annäherung an die DDR wird. Als Sonderbotschafter des Kanzlers Brandt verhandelte Bahr dann mit Moskau und Warschau über die Verträge zu einem Gewaltverzicht und einer Normalisierung der Beziehungen.

 

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, der große Vordenker und Friedenspolitiker Bahr sei stets ein loyaler und unermüdlicher Ratgeber der Partei gewesen. Regelmäßig arbeitete Bahr noch in seinem Büro im Berliner Willy-Brandt-Haus. 'Wir werden seine analytische Brillanz, seine Rationalität und Leidenschaft, aber auch sein Temperament und seinen liebenswürdigen Humor sehr vermissen', betonte Gabriel. 'Ich werde Egon auch als Freund und Ratgeber sehr vermissen.' 

 

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bezeichnete Bahr als Vorbild. Nur wenigen Politikern sei es vergönnt, mit einer Idee die Welt zu verändern und noch zu erleben, wie sie Wirklichkeit werde. 'Bei Egon Bahr war es so - seine Vorstellungen von einer radikal neuen Ostpolitik und vom 'Wandel durch Annäherung' haben buchstäblich den Lauf der Geschichte verändert und die deutsche und europäische Einigung erst möglich gemacht.'

 

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte: 'Wir trauern um einen aufrechten Sozialdemokraten, engagierten Versöhner und manchmal auch unbequemen Mahner.' SPD-Altkanzler Helmut Schmidt sagte der 'Bild'-Zeitung: 'Egon Bahr wird der deutschen Außenpolitik fehlen. Und mir persönlich auch.'

 

Unter Schmidt, der nach dem Rücktritt von Willy Brandt Kanzler wurde, war Bahr 1974 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit geworden. Schmidt hob hervor, dass Bahr sich auch in der Ukraine-Krise bis zuletzt um die Beziehungen zu Russland bemüht habe.

 

So war Bahr vor vier Wochen noch in Moskau und hatte sich dort zusammen mit dem Ex-Sowjetpräsidenten Michail Gorbatschow für ein Ende der Entfremdung zwischen Deutschland und Russland ausgesprochen. 

 

Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte: 'Mit Egon Bahr geht ein großer deutscher Politiker. Schon seit 1990 suchte er auch das Gespräch mit meiner Partei, mit mir.' FDP-Chef Christian Lindner twitterte: 'Die neue Ostpolitik war ein Verdienst von Egon Bahr. Die Freien Demokraten trauern um einen großen Mann.' Auch die Grünen-Chefs Simone Peter und Cem Özdemir teilten mit, sie würden Bahrs Mut und Scharfsinn vermissen: 'Er war bis zuletzt mit jeder Faser Politiker.' Berlin (dpa)

Stationen im Leben Egon Bahrs

21.08.2015 um 13:15 Uhr von WESER-KURIER
Vereidigung als Minister © dpa
Neuer Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Kabinett von Willy Brandt: Egon Bahr bei seiner Vereidigung am 10.07.1974 durch den Bundestags-Vizepräsidenten Kai-Uwe von Hassel. Foto: Egon Steiner/Archiv (dpa)
 

- 1956: Über den damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, gelangt der Journalist Bahr zur SPD.

 

- 1963: Bahr stellt das Konzept 'Wandel durch Annäherung' vor.

 

- 1966: Brandt wird in der Großen Koalition Außenminister, Bahr geht als Sonderbotschafter in das Auswärtige Amt in Bonn.

 

- 1969: Bahr arbeitet im Kanzleramt dem ersten SPD-Kanzler Brandt zu. Mit Moskau und Warschau verhandelt er über Verträge zu einem Gewaltverzicht und einer Normalisierung der Beziehungen. Er sucht zudem die Annäherung an die DDR, um das deutsch-deutsche Verhältnis zu verbessern, unter anderem wird ein Transitabkommen geschlossen.

 

- 1972: Bahr wird Bundesminister für besondere Aufgaben und setzt vor allem Brandts neue Ost - und Deutschlandpolitik fort.

 

- 1974: Der größte Tiefschlag ist Brandts Rücktritt nach der Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume im Kanzleramt. Dennoch wird er wenig später im Juli unter Nachfolger Helmut Schmidt noch einmal Minister, für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

 

- 1976: Nach der Wahl scheidet er aus dem Kabinett aus. Er wird zunächst SPD-Bundesgeschäftsführer. Sein großes Thema ist aber bis heute die Abrüstungs- und Friedenspolitik geblieben. Berlin (dpa)

Traueranzeige

21.08.2015 um 13:07 Uhr von WESER-KURIER
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Egon Bahr ist tot

21.08.2015 um 13:07 Uhr von WESER-KURIER

Die Worte und Gedanken, die Bahr noch im hohen Alter mit dem Glimmstängel in der Hand formte, waren stets aktuell. Der kleine Mann, der einst in Moskau mit Sowjet-Außenminister Andrej Gromyko den Entspannungsvertrag aushandelte und zum Mit-Architekten der Ostpolitik seines Kanzlers und engen Freundes Brandt wurde, sorgte sich im Ukraine-Konflikt bis zuletzt um das Verhältnis zu Russland.

 

Er war fest davon überzeugt, dass man den Faden nach Moskau nicht abreißen lassen dürfe. „Es gilt der Grundsatz von Willy Brandt: Kleine Schritte sind besser als große Worte“, meinte Bahr. Erst vor vier Wochen war er noch in Moskau, diskutierte gemeinsam mit Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow über die aktuelle Eiszeit zwischen Russland und dem Westen.

 

Egon Bahr gestorben © dpa
24. Januar 1977: SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr mit seinem Freund, dem Parteivorsitzenden und früheren Bundeskanzler Willy Brandt, sowie dem Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz in Berlin. (dpa)
 

In der russischen Hauptstadt hatte am 22. Mai 1970 die wohl größte Stunde des Egon Bahr geschlagen. „Geschafft!“: Kurz und knapp meldete der damalige Staatssekretär den Durchbruch im Ringen mit Gromyko. Der Abschluss der Verträge von Moskau und Warschau über Gewaltverzicht und politische Annäherung zählt zu den Höhepunkten in Bahrs Lebenswerk.

 

Unbestrittener Tiefpunkt war der 7. Mai 1974: An dem Tag trat Brandt wegen der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume zurück. Die Stasi hatte ihn in die engste Umgebung des SPD-Kanzlers eingeschleust. Als sein Freund stürzte, weinte Bahr.

 

Der 1922 im thüringischen Treffurt geborene Lehrersohn Bahr wuchs in Berlin auf. Als die Nazis herausfanden, dass seine Großmutter Jüdin war, wurde er aus der Wehrmacht entlassen. Ursprünglich wollte er Musik studieren, entschied sich dann aber für das Schreiben. Bahr ging zum Sender Rias und machte sich als Kommentator einen Namen.

 

Auch in die SPD wollte er, doch das war gar nicht so einfach. Der damalige Parteichef Kurt Schumacher winkte zunächst ab, weil der Bonner Rias-Korrespondent Bahr dann einen Quotenplatz in den Medien belegen würde. 1952 versuchte Bahr es über Brandt: „Er hat gesagt, unter Umständen kann man von draußen mehr bewirken als von drinnen.“ Erst im Oktober 1956 schaffte es Bahr im dritten Anlauf, Mitglied „meiner glorreichen Partei“ zu werden. Brandts Kommentar dazu: „Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen.“

 

Egon Bahr und Walter Franke © Jochen Mönch
12. September 1975: Minister Egon Bahr mit Senator Walter Franke in Bremen. (Jochen Mönch)
 

Als Regierender Bürgermeister von Berlin machte Brandt dann 1960 Bahr zu seinem Pressesprecher. Beim Wechsel ins Amt des Außenministers der ersten Großen Koalition nahm er ihn 1966 mit nach Bonn. Und als Brandt drei Jahre später ins Amt des Bundeskanzlers aufstieg, wurde Bahr erst Staatssekretär im Kanzleramt und später Bundesminister für besondere Aufgaben. Unter Brandts Nachfolger Helmut Schmidt übernahm Bahr das Entwicklungsministerium. Später war er noch mehrere Jahre SPD-Bundesgeschäftsführer. Zur ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 kandidierte er nicht mehr für den Bundestag.

 

 An Egon Bahr schieden sich zeitlebens die Geister. Die einen bewunderten den Mann, der wie kein Zweiter in Bonn im Hintergrund für Brandt die Strippen zog, für seinen messerscharfen Verstand. Von großen Teilen der Union wurde er dagegen heftig bekämpft. Als ihm der Berliner Senat zu seinem 80. Geburtstag die Ehrenbürgerwürde verlieh, hatte sich die Hauptstadt-CDU zuvor dagegen ausgesprochen.

 

Von Bahrs Lebenswerk bleiben große außenpolitische Wegmarken: Als Architekt der Ostpolitik sicherte er im Kalten Krieg die Insel West-Berlin, baute Brücken zwischen beiden Teilen des gespaltenen Deutschlands und legte wichtige Grundsteine für die Wiedervereinigung. Seine 1963 geprägte Formel „Wandel durch Annäherung“, die Grundlage der Neuorientierung der Bonner Ostpolitik wurde, hat sich als historisch richtig erwiesen.

 

Egon Bahr gestorben © dpa
6. Mai 1982: Egon Bahr mit Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn. (dpa)
 

Seit Brandts Tod 1992 sorgte Bahr unermüdlich dafür, dass die politischen Überzeugungen, die er mit seinem Freund teilte und vorantrieb, nicht in Vergessenheit gerieten. Vor zwei Jahren brachte er das Buch „Das musst Du erzählen – Erinnerungen an Willy Brandt“ heraus.

 

Bahr blickte aber nie nur zurück, sondern brachte sich wohldosiert als Mahner in die aktuelle Politik ein. Angela Merkels Euro-Krisenpolitik verfolgte er unter Verweis auf die Lehren der Weimarer Republik kritisch: „Wenn zu viele Menschen in Not geraten und die Hoffnung verlieren, gerät die Demokratie in Gefahr. Das ist in Griechenland zu beobachten, verstärkt durch außenpolitischen Druck, der die Würde des Landes verletzt“, schrieb Bahr.

 

Kurz vor der Bundestagswahl 2013 hoffte er noch, dass seine SPD nicht wie 2005 in einer Großen Koalition mit der CDU landen würde: „Wir sind nicht dafür da, der CDU zur Regierung zu verhelfen und so zur Verkleinerung der SPD beizutragen.“ Am Mittwoch ist Egon Bahr im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben. Seine zweite Frau Adelheid war bei ihm.